Er fasziniert immer noch: Konstantin Wecker, diesmal zusammen mit Jo Barnikel auf der Bühne, riss das Publikum im Theater des Kurgastzentrums zu frenetischem Beifall hin. Auch Barbara Titze vom Reichenhaller Tagblatt (Bericht vom 29.3.2011) hat es gut gefallen, hier ihre Kritik:

 

Immer noch zornig-zynisch und zärtlich-zart

 

Konstantin Wecker zeigt auch nach 40 Jahren

Bühnenleben keinerlei Ermüdungserscheinungen

 

BAD REICHENHALL - „Ich sing für alle, die wie ich nicht frei von Fehlern sind.“ Mit diesem Lied beginnt der weit über die bayerische Grenze hinaus bekannte Liedermacher Konstantin Wecker den Samstagabend im ausverkauften Kurgastzentrum. Nein, frei von Fehlern ist der gebürtige Münchner glücklicherweise nicht, aber er ist einer der wenigen, die nicht einmal versuchen, diesen Anschein zu erwecken.

Wecker ist immer authentisch und echt, egal, ob er schreit oder flüstert, ob er Liebeslieder oder Kampflieder singt. Zusammen mit seinem großartigen musikalischen Mitstreiter Jo Barnikel verspricht er, an diesem Abend in Bad Reichenhall, an dem sie zum letzten Mal das aktuelle Programm „Leben im Leben“ spielen, ganz besonders Gas zu geben. Und das Publikum wird nicht enttäuscht.

Wer schon einmal ein Konzert mit ihm erlebt hat, weiß, dass der Sänger immer alles gibt. Vor 40 Jahren, so erzählt der 63-Jährige, „bin ich einmal angetreten, um diese Welt zu verändern. Wenn ich mir die Welt jetzt so anschau – ich war das nicht!“

Wecker wäre nicht er selber, würde er nicht auch nach all den Jahren immer noch versuchen, die Leute wachzurütteln, sie aufzuwecken, ob er nun etwas damit verändern kann oder nicht. Sein Lied „Genug ist nicht genug“ erscheint wie ein Synonym zum Bankencrash, „Der alte Kaiser“, einst in Erinnerung an den 1975 gestorbenen äthiopischen Kaiser Haile Selassie geschrieben, ist wieder brandaktuell angesichts der Situation im heutigen Afrika. „Manche Lieder holt die Geschichte ein“, sinniert Wecker.

Er zieht auch fast vergessene Songs hervor. Sein erster Ausflug als freiheitsliebender Jugendlicher endete in Augsburg statt in Italien, weil er sich in der Richtung vertan hatte, mit vierzehn wurde er vom Zoll an der Grenze in Kiefersfelden aufgehalten, aber irgendwann schaffte er es doch nach Rom. Hier schrieb er das Lied „Du, ich lebe immer am Strand“, und als er es nun singt, muss er bei der Zeile „die Göttin kauert sich an meine Göttergestalt“ selber ein wenig grinsen - „Es ist halt schon ein sehr altes Lied!“ Seine erste Platte waren die „Sadopoetischen Gesänge des Konstantin Wecker“, leider trotz oder auch wegen des aussageträchtigen Titels ein Flop. Als zweite Platte kam das „Weckerleuchten“, und an das Lied „Madln, die wie Äpfel ausschaun“ können sich viele der Zuschauer noch erinnern.

Vom Papa, einem Opernsänger, hat er die Liebe zur Musik mitbekommen, von der Mama die Liebe zur Poesie. Und so vertonte er unter anderem die Zeilen „Alles geben die Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz, alle Freuden, die unendlichen, alle Schmerzen, die unendlichen, ganz“ eine „typische Copy-and-paste-Geschichte“ á la Guttenberg, „der auch lieber mal bei Goethe abgeschrieben hätte“.

Beim Spielen von alten und neuen Liedern, bekannten wie kaum gehörten, sitzen sich Wecker und Barnikel gegenüber. Sie halten Blickkontakt, spornen sich gegenseitig an, stacheln sich auf, spielen auf den Instrumenten und miteinander, steigern die Spannung und lachen fröhlich triumphierend und fast erleichtert, wenn sie gemeinsam am musikalischen Ziel ankommen. Es ist, wie Wecker erklärt, eine Liebesbeziehung, seit 16 Jahren sind sie ein musikalisches Paar, sozusagen „Sigi und Roy der Pianisten“.

Völlig neu für das Publikum ist die Liebe des Liedermachers zur Kanzlerin, zu der Wecker entflammt ist. „Wir werden vom schönsten Lächeln der Welt regiert“, wird sogar der linke Liedermacher rechts. „Könnte ich an dieser Brust nur einmal kurz versinken, da wählte ich, ich schwöre es, niemals mehr die Linken!“

Das Gelächter ist groß, gleich danach wird es wieder ernst mit dem Lied „Empört Euch“!, angelehnt an das Buch des französischen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel, der mit 93 Jahren gerade diesen Aufruf geschrieben hat und damit die Spitze der deutschen Bestsellerlisten gestürmt hat.

Wecker hatte überlegt, ob er mit 63 überhaupt noch Kampflieder schreiben dürfte, ob er nicht den nötigen ironischen Abstand bräuchte, aber gegen Hessel sei er ja geradezu ein Jungspund. Und da ist er wieder kämpferisch und eindringlich wie immer, „Empört Euch, beschwert euch und wehrt euch, es ist nie zu spät. Was keiner wagt, das sollt ihr wagen, wenn alle zweifeln, wagt zu glauben, wo alles dunkel ist, macht Licht!“

Nachdem nun sogar Justin Bieber eine Biographie mit dem Titel „Mein Leben“ geschrieben hat („das nächste ist die pränatale Autobiographie“), hat auch Wecker etwas in der Art verfasst: „Die Kunst des Scheiterns“. Er erinnert sich an am Selbstwertgefühl kratzende Momente wie etwa dem weiblichen Fan im italienische Pub, in dem er sich betrunken mit einem noch betrunkeneren Engländer prügelt und sie ihm vorwirft: „Aber das passt doch gar nicht zu Ihren poetischen Liedern, zu Ihnen als Pazifist – Herr Fendrich.“ Grenzwertig war es auch damals in der Ostseehalle in Kiel, in die 12.000 Leute passen – leider war nur 280 gekommen.

Wecker hat die Tiefpunkte seiner Karriere nicht vergessen, aber er kann heute darüber lächeln. Mit Selbstironie und Augenzwinkern erinnert er sich, es gibt keine Tabuthemen, kein Verstecken. Auch an ihm geht das Alter nicht vorüber, er schüttelt den Kopf über die heutigen Senioren, die „behende über Hecken flanken und Cabrios fahren“, wie es einem die Apotheken-Rundschau weismachen will. Statt die Alten mit der „ars moriendi“, der Kunst des Sterbens, vertraut zu machen, macht man sie lächerlich, die „dämlichsten Alten seit Menschengedenken“.

Ohne etliche Zugaben lässt das Publikum die beiden Musiker erwartungsgemäß nicht gehen. Vom brandneuen Liebeslied „... selbst wenn Venus dem Schaumbad entstiege, ich ließe sie schäumen, weil ich dich liebe“ bis zu alten Hits wie „So a saudummer Dog“ spannen Jo Barnikel und Konstantin Wecker den Bogen, sie zeigen ihr ganzes musikalisches Können mit Variationen über Kinderlieder bis hin zu Griegs Morgendämmerung.

Wecker beherrscht alles, von zornig-zynisch bis zärtlich-zart. Er weckt auf, immer noch und jetzt erst recht. Und es ist glücklicherweise kein Ende in Sicht!